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13.04 / Arealentwicklung Endhöri, Höri

Die Absicht bauliche und soziale Substanz zu erhalten, führt zu einem überraschenden Konzept für die Erneuerung der Siedlung aus den 60er-Jahren. Ausgehend vom Bestand, führen punktuelle Massnahmen, temporäre Nutzungen und der sorgfältige Umgang mit den gemeinschaftlich nutzbaren Räumen zu einer schrittweisen Transformation von der vernachlässigten Siedlung zum gerne bewohnten Lebensraum. 

Studienauftrag, 1. Rang, Juni 2013

Planungsteam
Auftraggeber – Kanton Zürich und Gemeinde Höri
Architektur – op-arch in Zusammenarbeit mit Specter Skop, Christina Schumacher, Rahel Nüssli
Projektbeschrieb

Vom Sonderfall zum Musterfall – ein Bericht aus den Wolken

Willkommen sehr verehrte Damen und Herren. Ich begrüsse Sie an Bord der Cessna 421C zu unserem Rundflug über die Schweiz des Jahres 2025. Während der folgenden 75 Minuten werden wir eine Reihe von Siedlungsräumen überfliegen, deren zukunftsweisende Planung die räumliche Entwicklung der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren massgeblich beeinflusst hat. Im Verlauf unseres Fluges werden Sie fachkundige Hintergrundinformationen von unserer Reiseleiterin, der Geographin Dr. Rahel Stüssi vom Amt für Raumentwicklung des Bundes, erhalten.

Die erste Attraktion werden Sie unmittelbar nach dem Start gut erkennen können, wenn wir erst wenige Meter vom Boden abgehoben haben. Die Flugzeugenthusiastinnen und ‑enthusiasten unter Ihnen kennen längst die bei Planespottern beliebte Aussichtsterrasse 'Bückpoint'. Die flughafennahe Gemeinde Höri hat sie vor über zehn Jahren ursprünglich als provisorische Einrichtung auf dem Dach eines vormals als Garage genutzten Containers im Quartier Bückler-Gentert errichtet. Aus heutiger Perspektive war dieser kleine und kostengünstige Eingriff ungemein wirkungsvoll. Längst hat sich die Aussichtsterrasse zu einem über die Kantonsgrenzen hinaus beliebten Ausflugsort für Jung und Alt entwickelt. Die italienische Espresso-Bar im Erdgeschoss, die im Sommer auch köstliche Gelati anbietet und Mustafas Gemüsekebab mit Gemüse aus quartiereigenem Anbau gleich nebenan kann ich Ihnen übrigens aus eigener Erfahrung wärmstens empfehlen. Aber nun übergebe ich das Wort noch vor dem Start unserer Maschine an Frau Stüssi.

Danke für diese Einführung, Captain Berisha, dann übernehme ich gleich an dieser Stelle. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, denjenigen unter Ihnen, die nicht zu den Flugzeugfans gehören, ist die Gemeinde Höri vielleicht durch den Wakkerpreis 2018 des Schweizer Heimatschutzes zum Begriff geworden. Diese Anerkennung wurde der Gemeinde für den Erhalt und die sorgfältige Erneuerung und Aufwertung des Quartiers Bückler-Gentert verliehen. Höri hat vor über zehn Jahren einen aus damaliger Sicht äusserst mutigen und weitsichtigen Prozess einer sanften Quartiererneuerung in Gang gesetzt. Denn die Bausubstanz der in den 1960er Jahren errichteten Grosssiedlung im Bückler-Gentert erschien aus zeitgenössischer Perspektive kaum erhaltenswert. Darüber hinaus war das Quartier mit gravierenden Problemen belastet, was die Lärmimmissionen und den überdurchschnittlichen Anteil an Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationshintergrund betrifft. Anstatt aber eine für die damalige Zeit übliche Abbruch- und Neubaulösung zu wählen, hat die vorausschauende Gemeinde zuerst geklärt, welche Entwicklungspotentiale das Quartier aufweist.

Die vertiefte Untersuchung machte deutlich, dass es mittels gezielter kurz- und mittelfristiger Eingriffe möglich sei, die grosszügig durchgrünte Siedlung mit schönem Baumbestand ebenso wie die durchaus funktionalen und durch einfache Eingriffe erweiterbaren Grundrisse der Mehrfamilienhäuser neu in Wert zu setzen. Gemeinsam mit dem Kanton wurden die langfristigen Kostenfolgen einer Abbruchstrategie im Vergleich zu einer Strategie der Erhaltung und Erneuerung in Etappen abgeschätzt. Erstmals kam damals der heute allgegenwärtige Begriff der sozialen Nachhaltigkeit ins Spiel. Man entschied sich für das längerfristige Ziel, den Quartierbewohnerinnen und ‑bewohnern, die immerhin ein Viertel der ganzen Gemeindebevölkerung ausmachten, den Verbleib zu ermöglichen und relativ einfache Massnahmen zu ergreifen, um den sozialen Kitt unter der Quartierbevölkerung und die Integration des Quartiers in das restliche Dorf zu fördern. Heute wissen wir, dass im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit, das heisst in der Förderung von Gemeinschaft und Wohlbefinden und der Möglichkeit, dass angestammte Bevölkerungsgruppen längerfristig an Ort verbleiben können, eine lange Zeit brachliegende Ressource der Siedlungsplanung liegt. Damals war diese Erkenntnis noch weitgehend unbekannt.

Die konsequente Quartierentwicklung nach den Prinzipien der sozialen Nachhaltigkeit war zu jener Zeit neu und zukunftsweisend. Sie müssen sich vergegenwärtigen, in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts war im Kanton Zürich gerade die Kulturlandinitiative vom Souverän angenommen worden und im gleichen Jahr hatte die Schweizer Bevölkerung einer weiteren Zunahme des Zweitwohnungsbaus durch die Annahme der gleichnamigen Initiative einen Riegel geschoben. Dies waren Zeichen dafür, dass die Menschen sich gegen eine weitere Zersiedelung der Landschaft wandten. Man suchte nach neuen Musterlösungen für den Erhalt und die Verdichtung des bestehenden Siedlungsraumes. Höri wurde ein in den Medien viel diskutiertes Vorzeigebeispiel dafür, wie eine kleine Gemeinde den Herausforderungen einer globalisierten Gesellschaft mit einfachen Mitteln begegnet und Probleme selbständig angeht, anstatt sie einfach auszulagern. Das gelungene Zusammenspiel des Erhalts einer baulichen und einer sozialen Substanz war denn auch dem Schweizer Heimatschutz Grund genug, der Gemeinde den Wakkerpreis zu verleihen. Doch nun genug der Theorie, gleich werden wir starten und ich werde Ihnen kurz die wichtigsten Massnahmen am Beispiel erklären können.

Als erstes wird die belebte Quartierstrasse von Bückler-Gentert unter uns auftauchen. Die Mehrfamilienhäuser wurden so umgebaut, dass sie mit ihren vielfältigen Fassaden der Strasse ein Gesicht geben und in der neuen verglasten Balkonschicht auch wirklich ohne allzu grosse Lärmimmissionen auf die Strasse hinaus gewohnt werden kann. Zwischen den Häusern erblicken Sie die erhaltenen grosszügigen Grünräume mit den ehrwürdigen Bäumen. Sie sind dicht bepflanzt und möbliert, denn Teile davon wurden den Bewohnerinnen und Bewohnern zur privaten Nutzung übergeben. Damit haben die Menschen angefangen, Verantwortung zu übernehmen für die Umgebung ihrer Häuser. Was da daneben so bunt leuchtet? Das ist der Spielplatz, gleich angrenzend an den Mittagstisch für die Kinder des Quartiers und der angrenzenden Ortsteile. Er wird flankiert von einer Reihe weiterer Gärten, die als Gemeinschaftsgärten genutzt werden und bei den Quartierbewohnern auch als Treffpunkt beliebt sind. Mustafas Gemüsekebab ist neben dem Mittagstisch ein weiterer Abnehmer für das im Quartier angebaute Gemüse. Mustafa lebt natürlich nicht nur von der Quartierbevölkerung und den Planespottern, auch die Mitarbeitenden aus dem angrenzenden, damals neu errichteten Gewerbequartier sind gern gesehene Gäste. Und nicht selten reihen sich auch die Leute aus den anderen Ortsteilen Höris unter die Besuchenden, ganz besonders dann, wenn sie am monatlich stattfindenden Flohmarkt auf dem Quartierplatz teilnehmen. Die hellen Boxen gleich unter uns, neben dem 'Bückpoint', sind übrigens ehemalige Garagen. Sie wurden kurz nach dem Entscheid, das Quartier in seiner Grundstruktur zu erhalten, als Werkstätten, Spielzeugverleih und Nähateliers umgenutzt.

Das war ein erster Schritt, um die Leute im Quartier näher zusammenzubringen. Natürlich verlief das alles nicht immer nur reibungslos. Aber dank einem Projekt der Zürcher Hochschule der Künste, die für eine 'Artists in Residence' Forschung eine Gruppe von Mitarbeitenden als künstlerische Animatoren für die Quartierbevölkerung einsetzten, konnte gleich zu Beginn des Inwertsetzungsprozesses ein erster wichtiger Schritt gemacht werden – übrigens ohne dass dies die Gemeinde einen Rappen gekostet hat. Dieser wichtige Ankurbelungsprozess hat Viele überzeugt. In die neu gebauten mehrgeschossigen Gewerbegebäude entlang des unter uns auftauchenden Parkplatzes zogen nicht nur Gewerbetreibende aus dem Ort und angrenzenden Gemeinden, sondern sogar die gewachsene Gemeindverwaltung hat einige Büros hierhin ausgelagert. Mittlerweile sind die Gewerberäume im Erdgeschoss und die Büros auch bei jungen Kreativschaffenden aus Zürich beliebt, die sich dank der günstigen Mieten gerne von der multikulturellen offenen Atmosphäre des Quartiers inspirieren lassen. Gleich werden wir über Höri hinweg sein – und was Ihnen bestimmt auffällt meine Damen und Herren sind die weiten zusammenhängenden Grünräume zwischen den ausgedehnten Siedlungen in der Metropolitanregion Zürich. Das Beispiel Höri ist eine von vielen Initiativen, die den Kanton vor der übergreifenden Zersiedelung bewahrt hat. Weniger sichtbar sind die sozialen Auswirkungen der damaligen Neuausrichtung in Höri. Spürbar sind sie aber allemal, mehr als Sie vielleicht ahnen. Das Geheimnis lüftet Ihnen unser Flugkapitän, Herr Enlirat Berisha, dem ich gerne noch einmal kurz das Wort übergeben möchte.

Herzlichen Dank Frau Stüssi. Tja meine Damen und Herren, das Geheimnis ist schnell preisgegeben. Anders als mein albanischer Name vielleicht vermuten lässt, bin ich nämlich just in dieser Gegend als Kind einer aus dem Kosovo zugewanderten Familie gross geworden und habe meine Kindheit und Jugend im eben überflogenen Quartier Bückler-Gentert verbracht und den Umbauprozess aus nächster Nähe erlebt. Meine Kindheit war aber nicht nur geprägt vom regen Leben im Quartier – mit der damals neu gebauten Fussgängerbrücke über die Geleise gelangten wir Kinder gefahrlos in den grossen nahegelegenen Wald, wo wir stundenlang herumstreunen und spielen konnten. 
Nun, gerade bin ich noch sehr beschäftigt mit der Navigation. Aber gerne stehe ich Ihnen im Anschluss an den Flug im Rahmen des Apéros für Ihre Fragen Red und Antwort und würde mich freuen, Ihnen einige von unzähligen Geschichten über das rege Leben im Quartier zu erzählen. Zuvor geht es aber weiter auf Kurs, in wenigen Minuten überfliegen wir ...

Christina Schumacher